Ursprünglich gepostet am: 12. September 2013 auf filmosophie.com
Als ich jüngst mein Profil hier auf unserem Blog aktualisiert habe, habe ich mich an meine Leidenschaft für das Bollywood erinnert und da wir ein Blog mit Persönlichkeiten sind, scheint es eine logische Konsequenz auch kurz zu beschreiben wie es dazu gekommen ist.
Wie bei allen großen (Liebes)Geschichten erinnere ich mich noch an die erste schicksalhafte Begegnung, mit der diese Leidenschaft begann.
Ich weiß nicht mehr genau das Datum, aber es war ein leicht regnerischer Tag im Jahr 2004, meinem ersten Jahr in Berlin, der Himmel war leicht mit Wolken verhangen. An diesem Tag nahmen mich mein Patenonkel und seine Frau, die beide selbst Jahre lang in Indien gelebt hatten, mit in ein Kino im Wedding, in dem gerade noch Kal Ho Naa Ho (Deutscher Titel Lebe und denke nicht an morgen) mit Bollywood-Superstar Shah Rukh Khan lief. Ich hatte keine Ahnung was da auf mich zukam, doch es sollte der Anfang von etwas Besonderem sein.
Da Bollywood-Filme generell nicht unter gefühlten 3 Stunden dauern, teilte sich der Film aus dramaturgischer Sicht in 2 Teile. Nach dem ersten Teil des Films verließ ich beschwingt das Kino und war wohl, so zumindest meine Erinnerung, fast schon dabei zu tanzen, wie es im Allgemeinen in diesen Filmen üblich ist. Wie der alternative deutsche Titel des Films (Indian Love Story) schon insgeheim andeutete, würde der Film aber auch viel Dramatik bieten und so kam es dann auch: Während des zweitens Teils des Films flossen mir die Tränen über’s Gesicht. Es ist in der Tat eine der zentralen Elemente und Eigenschaften des Bollywood-Kinos die ich sehr bewundere, die Zuschauer mit Bravour auf eine Achterbahn der Gefühle zu schicken und sie in ein immer andauerndes Wechselbad der Gefühle zu stecken. Wenn wir ehrlich sind, die Wirklichkeit ist stellenweise auch nicht anders, oder um es mit dem englischen Titel eines Bollywoodfilms treffend zu beschreiben: das Leben ist Sometimes Happy Sometimes Sad (Originaltitel Kabhi Khushi Kabhie Gham).
Seit diesem Erlebnis hat mich diese Eigenschaft immer wieder fasziniert, denn im Gegensatz zum Hollywood-Kino ist sich das Bollywood-Kino auch nicht zu schade, dies schonungslos mit seinen Zuschauern zu machen oder besser gesagt, es ist sich nicht zu schade, um vermeintliche kinematographische Tabus zu brechen: Ein gutes Beispiel hierfür ist das Historienepos Asoka – Der Weg des Kriegers (Originaltitel Ashoka), das die Geschichte um den altindischen König Ashoka erzählt und in dem ein kleines Kind während einer Schlacht vor laufender Kamera von Pfeilen durchbohrt wird. Eine Szene, die so wohl in keinem Hollywood-Film erscheinen würde.
Abgesehen von diesen kinematographischen Tabubrüchen und um wieder zu erfreulicheren Themen zu kommen, kann ich darüber hinaus sagen, dass es ein sehr befreiendes Gefühl ist, kollektiv mit den anderen Zuschauern im Dunkeln des Saals sich in einem Moment zu freuen und fast auf den Sitz mittanzen zu wollen, um dann im nächsten Moment weinend im Kinosessel zu sitzen. So erinnere ich mich gerne an die Vorführung von My Name Is Khan auf der Berlinale 2010, bei der im Friedrichstadtpalast der ganze Saal mit fast 2000 Besuchern kollektiv ein Wechselbad der Gefühl erlebte und gelacht, geweint und sich gegenseitig die Taschentücher gereicht hat. Im Grunde genommen ist es gerade das, was das Kino ausmacht und auch zu Beginn war: ein kollektives Erlebnis, noch weit entfernt vom einsamen Home Movie-Ereignis, zu dem Filme Schauen heute stellenweise geworden ist. Mehr sogar, es ist ein Ereignis. So ist es zum Beispiel kein Wunder, dass bei der Vorführung von Om Shanti Om auf der Berlinale, der ein Who is Who des Bollywood Kinos ist, die Fangemeinde im Kinosaal den Auftritt eines jeden Schauspieler wie den Auftritt eines bekannten Rockstars feierte.
Das Bollywood Kino traut sich nicht nur, seine Zuschauer auf eine Achterbahn der Gefühle zu schicken, sondern auch offen die verschiedensten Genres zu vermischen. Ein Beispiel hierfür ist eine Szene aus Main Hoon Na (Deutscher Titel Ich bin immer für dich da), in der die Macher eine Actionszene ganz im Stil des Bulletshots aus Matrix inszenieren, selbst wenn der Film im Kern ein Liebesfilm ist und auf den ersten Blick mit Action nichts am Hut hat. Dies ist auch wieder eine Eigenschaft dieses Kinos: Genregrenzen bewusst miteinander zu vermischen und keine klaren Grenzen zuzulassen. So ist es keine Seltenheit, dass in einem Film die unterschiedlichsten Genres zum Tragen kommen und dieser sich dabei selbst scheinbar auch nicht allzu ernst nimmt, was jedoch nie zu Lasten der Professionalität geht. Auf der anderen Seite spricht es auch für die Leidenschaft für das Medium Film, wenn die Macher offen mit den unterschiedlichsten Genres experimentieren und sich nicht scheuen, diese zu vermischen. Auch hier passt interessanterweise wieder die Parallele zum Leben, das auch nicht immer in ein Genre passt und wo die Grenzen zwischen Drama und Komödie auch nicht immer eindeutig sind.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Themen und Sujets, die vermutlich nur Bollywood verfilmen kann, wie zum Beispiel das Thema der Wiedergeburt im bereits erwähnten Film Om Shanti Om. Das Thema ist zwar auch in der westlichen Welt kein Neuland mehr und es gab auch hier schon Filme zu diesem Thema, jedoch erscheint der kulturelle Background des Hinduismus, beziehungsweise der indischen Kultur, ein idealer Hintergrund, um die Thematik darzustellen und vor allem um nicht unglaubwürdig zu erscheinen.
Doch bei aller Liebe zum Thema, Bollywood ist nicht nur Shah Rukh Khan und vor allem nicht nur Tanz und Glitzer. Bollywood ist eigentlich mehr, und die genannten Film sind nur die Spitze des kinematographischen Eisbergs. Das Kino aus der namensgebenden Traumfabrik Bombay (Mumbai) beinhaltet nicht nur aktuelle Filme, die in den letzten Jahren sogar ein Bestandteil des Berlinale-Programms geworden sind, sondern auch andere Filmperlen wie zum Beispiel Mera Naam Joker (Deutscher Titel Mein Name ist Joker) von Raj Kapoor aus dem Jahr 1972, und reicht bis in die 1970er Jahre zurück. Bei aller Dominanz die der Begriff „Bollywood“ auch mitbringt, täuscht er ebenfalls über die Vielfalt des indischen Kinos hinweg und stellt somit zum Beispiel das auch sehr interessante und vielseitige tamilische Kino (Kollywood) in den Schatten und verleitet dazu, unter indischem Kino oft nur Bollywood zu sehen.
Die aber wohl paradoxeste Eigenschaft des Bollywood-Kinos ist jedoch, dass es stellenweise eine Welt darstellt, die für einen sehr großen Prozentsatz der Zuschauer in Indien nie zu erreichen sein wird und stellenweise über die wirklichen Probleme und das Elend auf dem indischen Subkontinent (mehr oder weniger bewusst) hinwegsieht. Jüngste sehr interessante Ausnahmen sind hier der bereits erwähnte Film My Name Is Khan von Karan Johar und Kai Po Che (Englischer Titel Brothers for Life) von Abhishek Kapoor auf der Berlinale 2013, die zum Beispiel offensiv die noch immer präsente und oft blutige Fehde zwischen Muslimen und Hindus in Indien thematisieren. Trotz dieser stellenweise paradoxen Situation, in der es im Hinblick auf die Wirklichkeit steckt, denke ich, dass das Bollywood-Kino der Rolle der „Traum“-Fabrik, der sich ja auch schon das Hollywood Kino verschrieben hat und dass das Kino in seiner Funktion als Unterhaltungsmedium ja auch ist, nicht nur sehr gut gerecht wird. Es dient auch sehr gut für die notwendigen Alltagsfluchten und wird von den Zuschauern als solches freudig angenommen. Und wie heißt es doch so schön: „Everything will be okay in the end. If it’s not okay, it’s not the end“.
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