Ursprünglich gepostet am: 20. November 2013 auf filmosophie.com
Wie bringt man unerkannt eine Leiche über die Grenze und das in einem Land, in dem man scheinbar unweigerlich zum Spielball verschiedener politischen Interessen wird?
Rafik (Karim Saleh), ein Palästinenser mit israelischem Pass aus Ostjerusalem, zieht es vor in Hamburg sein Glück als Tellerwäscher zu versuchen statt sich auf den stetig brodelnden Streit mit seinem tyrannischen Vater einzulassen. So reißt er nur mit Widerwillen zurück nach Israel, um der Hochzeit seines ungeliebten Bruders Jamal (Navid Akhavan) beizuwohnen. Dort angekommen, lässt der erste Konflikt nicht lange auf sich warten und Rafik und sein Vater fangen an zu streiten, dieses Mal jedoch so heftig, dass Letzterer an einem Schlaganfall verstirbt.
Was Rafik und Jamal jedoch bislang nicht wussten: Der letzte Wille ihres Vater ist es, in heimischer Erde, in seinem Heimatdorf in der Nähe von Ramallah, begraben zu werden. So machen sich die beiden Brüder, der Mutter zuliebe, mit dem toten Vater im Kofferraum schon in der Nacht auf den Weg nach Ramallah und wollen versuchen, die Leiche über die Grenze zu schmuggeln. Doch bald wird klar, dass die Fahrt, die eigentlich nur 45 Minuten dauern sollte, sich zu einer wahrhaft skurrilen Odyssee entwickeln wird, in der die beiden Brüder immer wieder zum Spielball der Interessenskonflikte der am Nahostkonflikt beteiligten Parteien werden. Werden sie es trotzdem schaffen, ihrem Vater seinen letzten Wunsch zu erfüllen?
Ich bin offen gesagt unentschlossen aus dem Kino gekommen. Als ich zu Beginn im Presseheft von 45 Minuten bis Ramallah gelesen hatte, dass die Rolle von Olga, einer russischen Autodiebin mit der Rafik und Jamal ihre Mühe haben werden, von der deutschen Schauspielerin Julie Engelbrecht gespielt wird, hatte ich schon Angst, die Figur könnte wieder einen dieser typischen russisch-deutschen Akzente haben. Das hat aber nichts mit Julie Engelbrecht zu tun, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass dieser Akzent in meinen Ohren zum fast schon nicht mehr hörbaren Klischee geworden ist. Am Ende kam es genauso so, jedoch gewöhnt man sich schnell daran und zu guter Letzt kann ich es als Teil einer Satire wie dieser akzeptieren, dass die Figuren überspitzt dargestellt werden.
Die skurrilen Situationen, in die Rafik und Jamal während ihrer Reise geraten, bieten zahlreiche Lacher und ließen mich – so komisch es auch klingen mag – an das „Haus, das Verrückte macht“ aus Asterix erobert Rom denken. Nicht ohne Grund fragt selbst Rafik sich, ob in diesem Land, in dem sich die Fanatiker und Bürokratenhengste auf beiden Seiten nicht nur bekriegen, sondern scheinbar auch die Klinke in die Hand geben, nicht doch alle verrückt geworden sind. Vielleicht ist auch der Humor, so wie das Presseheft ankündigt, der einzige Weg um mit dieser Situation umzugehen. Doch darin liegt wohl auch das Problem dieser Komödie. Selbst wenn der Film von Ali Samadi Ahadi (u. a. Salami Aleikum und The Green Wave) stellenweise gefährlich nah am Klamauk vorbeischrammt, spricht prinzipiell nichts dagegen, den Fanatismus und die Besessenheit beider Seiten mit Humor zu unterwandern. Ich hätte mir stellenweise jedoch mehr Mut zur Satire gewünscht, gerade weil das Thema so bitterernst ist und der Humor scheinbar wirklich die einzige Möglichkeit bleibt, um beiden Seiten aufzuzeigen, was das Hickhack der Jahrzehnte mit diesem Land gemacht hat und was für verblendete und skurrile Figuren so eine Situation erschaffen kann.
Schön, verständlich und nachvollziehbar, aber unkonsequent erscheint dahingehend auch das Finale des Films, wenn Rafik erklärt, dass er sein Heimatland – trotz all dieser Verrückten – liebt. Diese Liebeserklärung und die Kritik in Form von Satire am Status Quo müssen nicht im Gegensatz zu einander stehen, im Gegenteil, gerade weil man dieses Fleckchen Erde voller Gegensätze liebt, darf und soll man kritisch damit umgehen. Doch weil der Film nicht konsequent mit der Satire ist, erscheint die Liebeserklärung am Ende zwar schön, aber auch seltsam schwach und nichtssagend. Das lachende und weinende Auge, das für die Satire so wichtig ist, der Lacher, der uns bei so einem Thema im Hals steckenbleiben müsste – beide fehlen in dieser zwar gut gemeinten, aber zu braven Komödie.
Wie Rafik selbst immer wieder betont, scheinen sie in einer Situation zu sein, die Verrückte macht und vielleicht offenbart sich hier auch das Problem, warum der Film zu brav ist. Im schon erwähnten Fall von Asterix, versuchen die Beamten im „Haus, das Verrückte macht“ Asterix und Obelix verrückt zu machen, in dem sie sie auf eine scheinbar nie endenden Odyssee zwischen den Schaltern schicken um den Passierschein A38 zu bekommen. Um die Situation zu beenden, wenden sie das Blatt, schicken die Beamten selbst auf eine Odyssee zwischen den Schaltern und lassen sie verrückt werden. Oder mit anderen Worten: um eine Situation zu unterwandern und zugleich ihre Absurdität zu offenbaren, muss man die beteiligten Personen mit ihren eigenen Waffen schlagen und ihnen so die Skurrilität ihrer Situation vor Augen führen.
Rafik und Jamal sind ein bisschen wie Asterix und Obelix, denn sie sind in einer Situation gefangen, die Verrückte macht. Doch da verpasst 45 Minuten bis Ramallah die Chance und schafft es nicht, die beiden Parteien im Konflikt zu unterwandern und ihnen im Sinne einer Satire klar zu machen, welch absurde Situation sie sich selbst geschaffen haben. Und gerade das ist es ja, was die Situation im Nahen Osten am notwendigsten hätte.
Kinostart: 5. Dezember 2013
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