Ursprünglich gepostet am: 22. November 2013 auf filmosophie.com
Als ich vor ein paar Wochen mein Programm für die Pressescreenings vorbereitete, bot sich mir die Gelegenheit gleich zwei Filme zum Thema des Nahostkonflikts zu sehen: auf der einen Seite 45 Minuten bis Ramallah und auf der anderen Seite Bethlehem. Beide Filme gehen auf unterschiedliche Art und Weise an das komplizierte Thema heran und sind nur bedingt vergleichbar, jedoch ist Bethlehem wohl der Film, der am stärksten im Gedächtnis bleibt und die verzwickte Situation im Nahen Osten einprägsamer vermittelt.
Bethlehem erzählt die ungewöhnliche Geschichte des israelischen Geheimdienstoffiziers Razi (Tsahi Halevy) und des 17-jährigen Palästinensers Safu (Shadi Mar’i), der für Razi als Informant arbeitet. Es ist eine Geschichte um Loyalität, Gewissenskonflikte und Verrat. Aber es ist nicht nur die Geschichte über die Beziehung zwischen Razi und Safu, sondern auch die einer ganzen Region, die seit mehr als 70 Jahren nicht mehr zur Ruhe kommt. Einer Region, die trotz aller historischen Veränderungen scheinbar keinen Schritt weiter gekommen ist und sich in einem tragischen Teufelskreis befindet.
Ich möchte an dieser Stelle auch nicht mehr über den Plot verraten. Ich würde sogar behaupten, dass der Zuschauer im Verlauf des Films manche Geschehnisse durchaus vorhersehen kann. Was aber nicht bedeutet, dass der Plot einfach, plump oder schlecht wäre. Im Gegenteil, er ist sogar sehr spannend und mitreißend. Auf der anderen Seite ist das Nahostproblem leider aber schon so präsent in unseren Köpfen, dass wir ahnen können, welche Konsequenzen eine Aktion einer Seite der Konfliktparteien im Film haben könnte.
Worauf ich aber hinaus will, ist, dass die größte Stärke des Films die dramaturgische Dichte ist, mit der er seine Geschichte erzählt und die den Zuschauer stückchenweise mitnimmt und nicht wieder loslässt. Regisseur Yuval Adler, der mit Drehbuchautor Ali Waked auch das Drehbuch verfasst hat, schafft es, die Zuschauer auf eine spannende Reise mitzunehmen, bei der man die verzweifelte und von Aussichtslosigkeit geprägte Situation, in der sich alle Figuren des Films befinden, fast schon am eigenen Leib spürt. Gerade durch diese Nähe, ahnt man als Zuschauer zur gleichen Zeit immer wieder, dass diese Geschichte kein gutes Ende nehmen wird und fühlt sich als Teil des Geschehens.
In Anbetracht des heiklen Themas ist eine weitere große Stärke des Films die Tatsache, dass er zu keiner Zeit Partei ergreift oder ein Urteil über eine der beiden Seiten fällt. Sowohl die israelische als auch die palästinensische Seite ist gefangen in diesem scheinbar nicht mehr enden wollenden Strudel aus Verrat und Gegenverrat, der fast schon shakespearesche Ausmaße annimmt und auf tragische Weise etwas Alltägliches geworden ist. Der Film erinnert auch in anderer Hinsicht an ein klassisches Drama: Israel und Palästina scheinen wie zwei verfeindete biblische Brüder, die sich ein Land teilen, das früher vereint war, und weil sie Brüder sind, eigentlich zusammen gehören und in Frieden leben sollten. Safur und Razi, die ihr brüderliches Verhältnis beide sehr schätzen, stehen hier wohl symbolisch Pate. Doch tief drinnen wissen und fühlen sie, dass die von den verschiedenen Interessen der Konfliktparteien und dem Status Quo immer wieder aufs Neue errichtete Barriere es eigentlich nicht zulassen wird, dass sie Freunde und Brüder bleiben. Ihre fast schon stets besorgten Gesichter sprechen hier stellenweise Bände und künden vom nahenden Unheil. Es scheint so, als ob die beiden Hauptfiguren ungesagt das aussprechen, was die beiden Länder nicht zu sagen wagen, aber eigentlich sagen wollen.
Bethlehem zeigt aber auch, dass sowohl beide Seiten als auch die Mitglieder der selben Konfliktpartei, sich den Verrat zu Nutze machen, um die eigenen Interessen voran zu bringen und alle sich in einer Situation befinden, in der es stellenweise weder Freund noch Feind gibt. Dieser neutrale Blick auf das Geschehen und die tiefen Einblicke verdankt der Film zweifelsohne der Zusammenarbeit zwischen dem Israeli Adler und seinem palästinensisch-israelischen Drehbuchautor Waked.
Bethlehem, der von Israel für die Oscars 2014 als bester ausländischer Film vorgeschlagen wurde, ist ein sehr sehenswerter und vor allem schonungsloser Film. Nicht weil er körperlich brutal, sondern weil er ehrlich ist und auf schon fast erschreckend leise Art und Weise die Brutalität, das Klima des Misstrauens, die Hoffnungslosigkeit und die Tragik im Nahen Osten zeigt, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.
Kinostart: 9. Januar 2014
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