Ursprünglich gepostet am: 29. November 2013 auf filmosophie.com

Die Erzählstruktur des Films Der Geograf, der den Globus austrank von Alexander Veledinski, der die 9. Russische Filmwoche eröffnet hat, ist stellenweisen untypisch und gewöhnungsbedürftig, jedoch ist er auf spannende und auch paradoxe Art wohltuend. Selbst wenn die Romanvorlage von Alexei Wiktorowitsch Iwanow in den 1990er Jahren und damit in einem sich im Umbruch befindlichen Russland angesiedelt ist, passt die Geschichte sehr gut in unsere aktuelle Zeit und der Film zeichnet ein interessantes Bild des aktuellen Russlands.
Der Film gewann beim Film Festival in Cottbus den Hauptpreis für den besten Film und war auch bei den Festivals in Sotschi und Odessa erfolgreich.

Es ist eine irgendwie trostlose Welt, ein trostloses Russland, in dem Viktor Sluzhkin (Konstantin Khabenskiy) lebt: das Leben in der russischen Provinzstadt Perm im Ural scheint festgefahren, genau wie die Ausflugsdampfer, die im vereisten und verschneiten Hafen des Flusses Kama still vor sich hin rosten. Die Einwohner der Stadt scheinen ein wenig deplatziert. Sie leben in einer kleinen Welt, die sie sich selbst erschaffen haben, die sie sich selbst zu recht gemacht haben. Aber auch ihr Leben ist eigentlich festgefahren. Sie leben einfach vor sich, in der leisen Hoffnung, dass das doch nicht schon alles gewesen sein kann und eigentlich doch wissen, dass die Zukunft nicht rosig sein wird. Genau wie die anderen, scheint auch Viktor, der eigentlich Biologe ist, in seinem neuen Beruf als Geographielehrer deplatziert zu sein. Was kann man aber anderes erwarten und vor allem hoffen, in einem Land, in dem Manager die Schicksale einer Schule leiten und von Schulbildung eigentlich keine Ahnung haben.
Viktor mag zwar keine Ahnung von dem Fach haben, das er unterrichten muss und auch er hat nicht unbedingt wenige Probleme in seinem Leben, jedoch hat er gerade dadurch Lebenserfahrung gesammelt. So versucht Viktor den Schülern mehr schlecht als recht die Welt zu erklären. Er versucht ihnen die Welt zu erklären, in der sie leben, die Welt, die sie umgibt – und das nicht nur im geographischen Sinne. Dabei wird er mit einer Gruppe von Schülern konfrontiert, die eigentlich keine Ahnung vom Leben hat, kein Interesse am Lernen zeigt und in einem Land und einer Welt lebt, die keinen richtigen Halt gibt.
Doch die Situation ist weit davon entfernt eine von diesen typischen Geschichten zu sein, in denen ein Held diese Kinder aus ihrer Misere rettet. Viktor ist das Gegenteil. Er ist kein Held. Er ist, wie es auch schon der Text des Films beschreibt, der moderne Antiheld. Eben der moderne Heilige, der moralische Stärke beweist, dabei den Personen in seinem Umfeld hilft glücklich zu werden, zur gleichen Zeit es aber nicht wirklich schafft seine eigenen Ziele zu realisieren. Bezeichnend für diese Rolle ist wohl die Rafting-Tour, die er mit ein paar der Schüler auf einem der reißenden Flüsse des Ural-Gebirges unternimmt. So stellt sich heraus, dass das Leben ein bisschen wie dieser wilde Fluss ist und die Stromschnellen für all die Hürden und Probleme stehen, die das Leben vorbereitet hat. Es stimmt irgendwie, was Viktor eines Nachts am Lagerfeuer seiner Schülerin Mascha (Anfisa Chernykh) erzählt: das Leben ist nicht schön und stellenweise hart. Eben wie dieser Fluss. Und doch muss man alles daran setzten um glücklich zu sein. Am Ende gehen die Schüler aus dieser Erfahrung gestärkt heraus und man merkt, dass sie Verantwortung für ihr Leben übernehmen wollen. Doch Viktor als tragischer Antiheld kann nicht glücklich sein, kann nicht aus seiner Rolle springen und kann sein Glück, das ihm in Form von Mascha sprichwörtlich gegenüber sitzt, nicht ergreifen.

Der Film endet wie er eigentlich nur enden kann, als klassisches griechisches Drama. Der tragische Viktor, der anderen geholfen hat, hat am Ende selbst kein wirkliches Glück im Leben. Während andere ihr Leben und ihre Rolle im Leben verändert haben, bleibt Viktor der Antiheld, der nicht merkt, dass er ein Antiheld ist. Und doch scheint er auf paradoxe Art und Weise mit dem Wenigen was er hat zu recht zu kommen.
Er ist ein trauriger Geograf. Der, der sich im Leben orientieren kann, dabei den Globus, sinnbildlich seine eigene Welt austrinkt und das Leben genießt und in sich aufnimmt. Auf tragische Weise aber nicht merkt, dass der Globus, den er da gerade austrinkt, doch all das vollkommene Glück bietet, das man braucht. Es stimmt wohl was die Kunstinstallation zeigt, die am Hafen von Perm steht und gleich zu Beginn des Films in Szene gesetzt wird: Das Glück ist da – nur merkt man es zu oft einfach nicht. Das ist eben die Melancholie, die Tragik, die das Leben stellenweise bestimmt und somit vielleicht auch ein bisschen einen Blick auf die Veränderungen im heutigen Russland wirft.

Kinostart: für Deutschland noch nicht bekannt