Ursprünglich gepostet am: 01. April 2015 auf filmosophie.com

Frankreich, Ende des 17. Jahrhunderts: Die unkonventionelle Landschaftsgärtnerin Sabine De Barra (Kate Winslet) erhält vom obersten Gartenarchitekten des Königs André Le Nôtre (Matthias Schoenaerts) den Auftrag, einen Barockgarten zu bauen. Sonnenkönig Ludwig XIV. (Alan Rickman) wünscht sich einen Park für sein neues Schloss in Versailles, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen soll. Keine leichte Aufgabe für die selbstbewusste Witwe, die fortan nicht nur gegen neidische männliche Kollegen und subtile Hofintrigen zu kämpfen hat, sondern sich auch immer stärker zu ihrem Auftraggeber hingezogen fühlt. Doch André ist verheiratet und sie selbst ist sich ihrer Gefühle nicht sicher. Während Andrés eifersüchtige Ehefrau Madame Le Nôtre (Helen McCroy) die zarte Liaison mit aller Macht zu sabotieren sucht, drängt der ungeduldige König auf baldige Fertigstellung seines Gartens…

Ich finde Die Gärtnerin von Versailles (Originaltitel A little chaos) ist ein tolles Beispiel dafür, wie der deutsche Verleihtitel wieder einen falschen Eindruck vermitteln kann. Bei so einem Titel könnte man durchaus glauben, dass hinter dem Film sich ein (weiterer) romantischer Kostümfilm versteckt. Doch dem ist, Alan Rickman sei Dank, nicht so. Ja, der englische Titel vermittelt viel treffender die Konstante, die sich durch diesen Film zieht: geordnetes Chaos.

Es fängt schon beim kleinsten gemeinsamen Nenner an: dem Garten. Außer am Ende, zeigt der Film zu keiner Zeit die wundervollen und perfekt geordneten Gärten, die Versailles ausmachen und die man – geht man vom deutschen Titel aus – in einem am französischen Hofe angesiedelten Liebesfilm erwarten würde. Doch der Film zeigt das Gegenteil. Der Zuschauer sieht „nur“ De Barras Hausgärtnerei oder die chaotisch anmutende und schlammige Baustelle des Amphitheaters, mit dem De Barras betraut wurde – und die noch dazu hinter einem kleinen Waldstück verborgen ist, das den Blick auf das „eigentliche“ Versailles versperrt.

Überhaupt orientiert sich Rickman an seiner Inszenierung des höfischen Lebens gar nicht am klassischen Kostümfilm: keine wundervollen Panoramabilder des barocken Hofes oder der Gärten von Versailles, keine pompösen Bälle und Festivitäten. Vielmehr enge Einstellungen auf das Geschehen, die schon fast ein bisschen an den Stil einer guten britischen Hochglanz-Fernsehserie im Stile von Stolz und Vorurteil erinnern, und die das Zwischenmenschliche der Figuren in den Fokus rücken.

Auch die Geschichte selbst bringt ein bisschen Chaos in die Welt des klassischen Kostümfilms. Allen voran die Tatsache, dass eine ehrgeizige und mutige Frau die von Männern dominierte Welt der Landschaftsarchitekten aufbricht. Überhaupt lebt und fokussiert sich der Film erfreulicher Weise auf die starken, selbstbewussten und vor allem eigenständigen Frauen. Die reichen von Kate Winslet über die verschiedenen Maitressen am Hofe von Ludwig XIV. bis hin zu De Barras Haushälterin. Die Männer in diesem Film, von Le Nôtre bis hin zu Ludwig XIV. selbst, erscheinen daher stellenweise wie gewollte Statisten und Staffage oder wie im Fall des Herzogs von Orléans (Stanley Tucci), wie lustige Paradiesvögel. Dahingehend verzeiht man Rickman auch eine Szene, als der Film für einen kurzen Moment seiner Linie untreu wird und in alte Rollenklischees zu verfallen scheint.

Ein weiteres Merkmal dieser ungewöhnlichen Inszenierung sind die Dialoge. Dialoge, die auf den ersten Blick komisch erscheinen, da sie nicht nur ungewöhnlich modern sind sondern auch ungewöhnlich schnippisch, manchmal sogar provokativ. Dahingehend ist das geordnete Chaos mehr eine gewollte geordnete Dekonstruktion des klassischen Kostümfilms und damit der steifen Verhaltensweisen am Hofe. Eine provokative und mit ironischem Blick gepaarte Dekonstruktion, die sogar so weit geht, dass De Barras und der seiner Perücke und damit seiner Machtsymbole beraubte Ludwig XIV sich in einem kleinen Birnenhain wie zwei normale Menschen über die Liebe unterhalten.

Gerade weil der Film so auf ungewöhnliche Art modern ist und nicht das ist, was man auf den ersten Blick erwarten würde, wird sich der ein oder andere Zuschauer vermutlich daran stören. Doch wer sich auf dieses erfrischende Experiment von Alan Rickman einlässt, der wird sicherlich eine neue Erfahrung machen.

Kinostart: 30. April 2015