Ursprünglich gepostet am: 29. November 2015 auf filmosophie.com

Es gehört wohl zum Wesen des Journalismus einen Nachruf für eine Person zu schreiben, die man eigentlich gar nicht persönlich kennt. Und doch kommt es mir vor, als ob ich Norbert Gastell schon eine Ewigkeit kenne. Neben seiner Tätigkeit als Schauspieler, lieh er seit 1991 in der deutschen Synchronisation der Simpsons dem übergewichtigen und tollpatschigen Familienoberhaupt Homer seine prägnante Stimme und prägte und sozialisierte dadurch nicht nur mich sowie jeden anderen Simpsons-Fan, und das über Generationen hinweg.

Im Gegensatz zu seinem amerikanischen Kollegen Dan Castellaneta, der in der US-Version neben Homer noch anderen Bewohnern aus Springfield eine Stimme gibt, lieh Gastell nur Homer seine Stimme und machte die deutsche Version der Simpsons auch über die Sprachgrenzen hinaus bekannt. Und vielleicht nicht zu Unrecht, sind viele der Fans der gelben Familie der Meinung, dass die deutsche Version mit einer der besten ist. Was sicherlich auch an der Synchron- und Dialogregie zu verdanken ist. Doch man vergisst zu oft, dass es bei der Synchronisation um mehr geht, als einer Figur nur seine Stimme zu leihen. Ein Synchronsprecher muss – gerade wenn es darum geht eine nicht menschliche Figur zum Leben zu erwecken – mit seiner Stimme der Figur eine Persönlichkeit geben.

Wirft man zum Beispiel einen Blick auf den Charakter von Homer in der US-Version, so präsentiert sich das Familienoberhaupt als ein fettleibiger, alkoholliebender Durchnittsamerikaner mit wenig Bildung, leichter Tendenz zum Proleten und Liebe für die Banalitäten des Lebens („Der Football in der Leiste hat eben einen Football in der Leiste“), den man trotz oder gerade seiner Schwächen und Eigenschaften nur gern haben muss, denn im Kern ist er eigentlich eine herzensgute Person, die alles für seine Familie tun würde. Dabei hat Gastell in seiner Version diese Eigenschaften zwar übernommen, jedoch zur gleichen Zeit der Figur seine eigene Note verliehen. Eine Stimme, die die Herzensgüte und zugleich naive Unschuld beinhaltete, die Homer so prägt.

Es in gewisser Hinsicht faszinierend, dass Sprecher wie Gastell einer Figur so lange ihre Stimme geliehen haben und dabei die ganzen Höhen und Tiefen des Figurenlebens mitgemacht haben. Zu dieser Tatsache gehört aber auch das traurige Paradoxon, dass die Figur Homer in 25 Jahren kein Jahr gealtert und immer noch zwischen 36 und 40 ist, während seine Stimmen schon. Und so auch Norbert Gastell.
Wenn ich mir die lange Geschichte der Simpsons so anschaue und retrospektiv auf die letzten Jahrzehnte schaue in denen ich die Serie verfolgt habe, hatte ich mir vielleicht schon das ein oder andere Mal unbewusst die Frage gestellt, was denn passieren würde, wenn einer der Sprecher nicht mehr dabei sein wird. Eine Frage die ich mir gestellt hatte, auf die ich aber auch keine Antwort haben wollte. Denn tief drinnen wünschte ich mir, die Realzeit wäre genau so unendlich wie die Zeit in Springfield. Nun ist es passiert. Die deutsche Stimme von Homer ist verstummt. Für immer. Es tut weh und als ich am Samstag wieder routinemäßig die Simpsons schaute, huschte mir eine Träne über die Wange, denn Gastell war ein ständiger Begleiter in Sachen Springfield.
Es wird aber weitergehen. Die Simpsons haben bereits 2006 mit Elisabeth Volkmann eine prominente Stimme verloren und mit Anke Engelke eine würdige Nachfolgerin gefunden. Tatsache ist jedoch, dass bestimmte Eigenschaften mit der Stimme der jeweiligen Sprechers oder der jeweiligen Sprecherin verbunden sind. Gehen sie, gehen auch diese Eigenschaften. Ich bin gespannt wer die Nachfolge von Gastell antreten wird, doch die Neeeins, die Hmmms und das kindische Kirchern von Homer werden nicht mehr so sein wie früher.

Norbert Gastell, danke für mehr als 20 Jahre unvergessene Momente!